Rezension: Wenn dein Körper sich erinnert – Traumasensibles Yoga

Hier sieht man einen Tisch auf dem das Buch "Wenn dein Körper sich erinnert" liegt

Als Mensch mit komplexen Traumata begrüße ich die öffentliche Aufmerksamkeit, die Trauma in den letzten Jahren erhält, sehr. Und trotzdem war mir bis vor einigen Monaten „Traumasensibles Yoga“ als Begriff unbekannt. Ich begann, mich ein bisschen mehr damit zu beschäftigen, doch erst durch die Rezension des Buchs „Wenn dein Körper sich erinnert – Mit traumasensiblem Yoga den Körper wieder als sicheren Ort spüren“ konnte ich tiefer in die Materie eintauchen.

 

Die Yoga-Therapeutin Eva Weinmann hat hier ein komplexes Thema in ein leicht verständliches, flüssig zu lesendes Buch verarbeitet. Auf rund 200 Seiten erklärt sie die Entstehung von (verschiedenen) Traumata, was eine Traumafolgestörung ist, was unser (frühkindlich entwickeltes) Nervensystem damit zu tun hat und warum Menschen mit Traumata oft ein extrem über-erregtes (hier!) oder unter-erregtes Nervensystem haben. Und was das alles schlussendlich für Geist&Körper bedeuten kann.

Gleich zu Beginn gibt sie den wertvollen Hinweis, sich mit dem viel beachteten Buch „Bin ich traumatisiert“ von Verena König tiefer in die komplexe Thematik einarbeiten zu können. Das Buch von Verena habe ich ebenfalls hier auf dem Blog besprochen.

Und dann schlägt die Autorin den Bogen vom Trauma zum Yoga:

Im Yoga wird davon ausgegangen, dass wir alles, was wir für ein langes Leben in Zufriedenheit und Verbundenheit brauchen, bereits in uns tragen und dass wir so, wie wir sind, bereits vollkommen sind.

Hier macht eine Frau Yoga, auf einer Yoga-Matte, vor ihr steht ein Stuhl

Eva Weinmann / Credit: Matias Kovacic

Wie eine traumasensible Yogapraxis aussehen kann

Vielen Menschen mit traumatischen Erfahrungen fällt es schwer, sich selber zu spüren, sie erleben viel im Außen. Auch wenn ich eine ganz gute Körper- & Geistesanbindung habe, erlebe auch ich viel im Außen: Viel abchecken, den Helikopter-Blick haben, Situationen auf Gefahr scannend. Und das permanent. Dabei lässt sich nicht gut entspannen, das Gegenteil ist der Fall. Meine Muskeln und Fasern sind jederzeit „sprungbereit“. Eva fängt hier wirklich am Anfang an. Sie erläutert einfache Übungsbeispiele, um in der Gegenwart anzukommen, wie das einfache Betrachten des Raums, in dem man sich befindet. Um Sicherheit zu erlernen, braucht es Fokussierung, um im gegenwärtigen Moment zu bleiben.

Sicherheit ist sowieso das allgegenwärtige Thema in Evas Buch, denn diese für nicht-trauma-belastete Menschen völlig natürliche, durch Ur-Vertrauen erlernte Sicherheit existiert für viele Menschen mit schlimmen Erlebnissen nicht. Meine Traumafolgestörung wird beispielsweise durch Musik aus der Nachbarschaft getriggert. Ich höre nur einen Beat und sofort gerät mein ganzes System in Panik. In dem Buch gibt es daher viele Übungen, sich in den Moment zu holen, denn der gegenwärtige Moment ist eine normale und damit sichere Umgebung und nicht die damalige Umgebung, als das Trauma passiert ist. Weshalb die Aspekte Ankommen in der Gegenwart, (Wieder) mehr Sicherheit spüren und die Wahlmöglichkeiten erkennen und nutzen bei ihr großen Stellenwert einnehmen.

Die Wahlmöglichkeiten beziehen sich hier auf die im Yoga gern genutzte Aussage, man solle die Komfortzone verlassen. Ich danke Eva dafür, dass sie hier explizit erwähnt, dass das eine individuelle Entscheidung ist, die besonders bei Menschen mit Traumafolgestörung eher negative Auswirkungen haben kann. Gerade dann, weist Eva darauf hin, gilt es zu lernen, wohltuende Orte innerhalb der Praxis zu finden, um überhaupt erstmal eine Komfortzone aufbauen zu können.

Die Asanas – Traumasensibles Yoga, Step by Step

Im dritten Kapitel des Buchs geht Eva mit vielen Bebilderungen auf einzelne, wohltuende Asanas ein. Dabei zeigt sie meist zwei Varianten, um den individuellen Ansprüchen gerecht werden zu können und zeigt bei jeder Asana auch ausführlich auf „Wofür das gut ist“.

Dabei geht sie von Stand-, über Balance- hin zu Sitzhaltungen über und geht dabei auch in jeder Rubrik auf die einzelnen positiven Wirkungen ein. Die Asanas sind leicht und für jeden zu praktizieren, auch lehrt sie uns, wie wir die bestimmten Haltungen dem Körper gegenüber mit Hilfsmitteln wohlwollend ausüben können. Wir lernen, auf unseren Körper und seine Grenzen zu hören.

Eine Frau greift sich an die Schläfen, um sich dort zu massieren

Credit: Matias Kovacic

Das Kapitel der Entspannung – meine schwerste Herausforderung

Yoga Nidra, MBSR, Hypnose oder Meditation – bei alldem streikt mein Geist. Nichts stresst mich so wie eine geführte Meditation oder ein Body Scan nach Kabat-Zinn. Während neben mir auf der Matte geschlafen wird, verkrampfe ich mich. Das macht auch Sinn, wie Eva erklärt:

So belastend ein hohes Stresslevel auch ist: Der Teil deines Nervensystems, der für das hohe Stresserleben verantwortlich ist, verhält sich absolut sinnvoll und möchte dich schützen.

Mein Nervensystem ist übererregt und scannt die Umwelt immerzu nach potenziellen Gefahren ab, das hat es schlicht so gelernt, als ich Kind war. Weshalb die folgenden Unterkapitel für mich besondere Relevanz haben. Hier geht es um „Gefühlte Sicherheit als Voraussetzung für Entspannung“ & „Und wie sie dennoch gelingen kann: Traumasensible (Yoga-)Übungen zur Entspannung“. Hier werden Übungen vorgestellt, die im Sitzen oder Liegen absolviert werden können, von der Schmetterlingsumarmung zur Kopfmassage hin zu Varianten das Shavasanas.

Das ist wichtig, denn eine ehemalige MBSR-Kursleiterin verwies steif und fest darauf, Meditationen könne man nur (!) im Sitzen mit geschlossenen Augen durchführen. Wenn das aber dem/der Übenden nicht gelingt, dann muss es doch Varianten geben! Eva zeigt dies auf. Dieses variantenreiche Denken zeigt sich auch durch das Kapitel der Pranayamas, der Atemübungen, wo sie anhand von Beispielen erklärt, welche Atmung für wen gut geeignet ist und wann man besser keine Übungen durchführt.

Zu guter Letzt

Zum Schluss geht das Buch auf die Wichtigkeit des Ausbalancierens des Geists ein. Wie wir es schaffen, uns in dem sogenannten Toleranzfenster nach Daniel Siegel bewegen können, ohne in die Über- oder in die Unter-erregtheit abzudriften. Und wie wir uns stabilisieren, beispielsweise mit Mudras, also Fingerübungen, die uns gut im Hier&Jetzt halten können.

Es finden sich Tipps zum mitfühlenden Umgang mit sich selbst und – was ich besonders gut finde – der Weg in die eigene Praxis:

Welcher Yogastil und welches Studio können geeignet sein, um ein ausbalanciertes Nervensystem zu fördern. Das ist gut und wichtig, denn viele Menschen stolpern in das erste Studio und stehen dann ggf. in einer Bikram-Stunde, was wohl völlig ungeeignet wäre. Sie weist auf die Wichtigkeit der Studio-Größe hin, wie auf die Zusammensetzung der Gruppe und – das ist besonders wichtig – dass man immer auch aus einer Stunde gehen darf, wenn es einem zu viel wird. Auch ganz ohne Traumaerlebtes!

Eine Frau in einem rosa T-Shirt faltet die Hände bei einer Yoga-Übung

Credit: Christine Joos

Yoga-Kultur steht hier (erstmal) nicht im Mittelpunkt – und das ist gut so

Wenn Eva in ihren Artikeln ausführlich Wirkweisen von Asanas, Pranayamas oder Mudras erklärt, hält sie sich mit Sanskrit oder der Kulturellen Herleitung zurück. Und das ist gut so. Wenn Menschen, die Traumata erlebt haben, die positiven Seiten des Yogas erstmals kennenlernen, dürfen sie Yoga erst einmal erleben und müssen ihn nicht studieren. Ich denke, das kommt bei einer regelmäßigen Praxis von ganz alleine, das Eintauchen in das Erlebte und dessen Geschichte. Oder eben auch nicht. In diesem Fall ist Yoga ein Rettungsanker und kein Lifestyle-Yoga, bei dem die Kulturelle Aneignung kritisiert werden kann. Und trotzdem weist Eva hier und da auch auf die alten Weisheitstexte hin oder greift auf kleine Geschichten rund um Buddha zurück. Aber eben subtil und den/die Schüler*in nicht überfordernd.

Was ich für mich aus dem Buch mitnehme

Ich bin Eva Weinmann vor allem dankbar, immer wieder erkenne ich mich, meine Muster und besonders meine Abwehrhaltung, mich dem Yoga oder in der Meditation wirklich hinzugeben. Wie Eva es in ihren Beispielen benennt, verstehe ich nicht, wie Menschen auf der Matte neben mir im Yoga Nidra weg pennen, während mein Körper voller Anspannung ist und diese Praxis nur zäh über sich ergehen lassen kann. Mein Geist schützt sich schlicht vor äußeren Einwirkungen und auch vor dem, was da hinter meinen Mauern liegt. Das ist ok, habe ich gelernt. Durch meine Traumatherapie, aber auch durch Bücher wie das von Verena und von Eva. Ich bin ok, meine Schutzmechanismen sind okay. Ich darf meinen eigenen, individuellen Weg finden, mir Ruhe zu verschaffen und Schema F ist nun mal nicht mein Schema.

Das Buch ist geeignet für Anfänger*innen, Fortgeschrittene, für Yoga-Lehrende und Therapeut*innen, aber auch für Angehörige von Traumaüberlebende.


Über Eva Weinmann

Die Dipl.-Psychologin, systemische Therapeutin und in Somatic Experiencing und EMDR ausgebildete Eva Weinmann, arbeitet als ausgebildete Yoga-Lehrerin. Sie bietet Weiterbildungen für traumasensibles Yoga an, veranstaltet Yogaretreats und gibt Workshops zu Themen rund um die Schnittstelle zwischen Yoga und Psychologie. Darüber hinaus arbeitet sie für Wildwasser e.V., einer Fachberatungsstelle für Kinder, Jugendlichen und Erwachsene, die sexualisierte Gewalt erlebt haben.

Über das Buch

Verlag: Knaur Balance
208 Seiten
ISBN: 978-3-426-67634-9

Und zum Abschluss noch eine kleine Yoga-Sequenz mit Eva:

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