Yoga-Therapie in der Praxis – Asanas und Pranayamas therapeutisch eingesetzt

Das Buch Yoga-Therapie in der Praxis liegt auf einer grauen Yogamatte, die auf einem Holzfußboden liegt. Auf der Matte steht auch eine Tasse Tee.

 

Ich könnte diese Rezension auf einen Satz beschränken und nehme mein Fazit damit vorneweg: Dieses Buch ist so, so gut und gehört in jeden Buchschrank eines/einer Yogi*nis.

Lieber finde ich mehr Worte zum Buch. Wer Yoga lehrt, der lernt nie aus. Das bereits erarbeitete Wissen zu vertiefen, sich und seine Arbeitsweise zu reflektieren, vielleicht neu zu denken, das ist die Aufgabe der Lehrenden. Das Buch „Yoga-Therapie in der Praxis“ vom Autor*innen-Trio Bitta Boerger, Dr. med. Judith Schäfer und Daniel Helbig lädt ein, das bestehende Wissen über anatomische und psychische Vorgänge im Mensch neu zu betrachten und bei Beschwerden die richtigen yoga-therapeutische Ansätze zu finden.

Beginnend von der Anatomie, dem gesamten Aufbau des Körpers, aber auch des Gehirns und der Psyche, werden Beschwerden und hierfür Lösungswege aufgezeigt. Besonders wichtig: immer geht es um den/die individuelle Schüler*in.

Was mir in Stunden bisher oft fehlt – und in dem Buch aufgegriffen wird:

In einer Klasse mit zehn oder mehr Schülern lässt sich nicht die individuelle Anamnese erstellen, das ist klar. Trotzdem wurde mir oft das Gefühl vermittelt, Yoga ist Yoga und jede/r kann alles lernen, bzw., alles ist für alle gleich geeignet. Das ist mitnichten so und hat mich persönlich auch aus den Yoga-Schulen in mein eigenes Studio, also mein Zuhause und meine Online-Klassen getrieben.

Denn hier kann ich meine Praxis gestalten, wie sie mir guttut. Durch meine psychosomatischen Beschwerden und meine Chronische Erschöpfung kann ich keine 90 Minuten Klasse absolvieren. Gerade der intensive, ausführliche 3. Teil des Buches – Psychologie und Neurologie – haben mir daher beim Lesen einige Aha-Momente beschert. Denn Bitta arbeitet immer erst mit individueller Anamnese. Zu Beginn der gemeinsamen Arbeit werden das jeweilige Krankheitsbild oder die Beschwerden erfasst, dafür werden z.B. anatomische Strukturen, die Beschaffenheit des Gewebes oder die Grundlagen der menschlichen Psyche abgefragt. Aus diesen Informationen erarbeitet sie eine sinnvolle, yoga-therapeutische Praxis. Was mir dabei besonders gut gefällt, ist der Ansatz, die diversen Ebenen des Körpers und der Psyche einzeln zu betrachten.

Eine Frau macht eine sitzende Yogahaltung auf einer Matte, hinter ist ist ein großes Fenster, durch das Sonne einfällt

Bitta Boerger

Bei Beschwerdebildern der Psyche sind die Symptome und die damit einhergehenden Empfindungen oftmals nicht so eindeutig - die Affekte des Körpers, des Nervensystems und daraus resultierend möglichen Einschränkungen für die betroffene Person sind nicht so leicht zu fassen. Wie kann ein Mensch gesehen und berührt werden und durch die Yogatherapie wirkliche Unterstützung erfahren? So komplex die Bedürfnisse sind, so komplex können die möglichen Antworten sein, es gibt kein richtig oder falsch. - Bitta Boerger

Aufteilung in drei Kapitel: Funktionelle Anatomie, Innere Medizin und Psychologie und Neurologie

Die drei sehr ausführlichen Kapitel betrachten Körper und Geist von oben nach unten, von innen nach außen. Beschwerden von der Hüfte werden genauso anatomisch besprochen wie Probleme mit den Füßen – konkret gehen die einzelnen Kapitel auf die Grundlagen, das Yoga-therapeutische Vorgehen und schließlich auf ein Fazit ein. Auch die inneren Organe werden eingehend besprochen. Das Atemsystem, das Herz-Kreislauf-System und natürlich das bis heute abstrakt anmutende, und immer noch nicht gänzlich erforschte, Verdauungssystem. Auch zu rheumatischen Beschwerden findet sich ein Abschnitt.

Die anatomischen Grundlagen sind mit Illustrationen versehen, sodass Gelenke, Muskeln und Knochen im Zusammenhang gebracht und visualisiert werden. Der medizinisch-fachliche Anteil der Bänder, Sehnen und Muskeln kommt keineswegs zu kurz, dabei ist es trotzdem kurzweilig und gut lesbar beschrieben.

Die Yogatherapie wird sowohl beschrieben als auch reich bebildert. Oftmals werden Pranayama, Mudras oder Mantren mit in die Therapie einbezogen, auch das ist jeweils hergeführt und gut erklärt.

Kleine Exkurse, wie zur Ernährung oder Herleitungen aus dem Ayurveda, beispielsweise zur Thematik Schmerzen, Gelenke im Alter bei erhöhtem Vata-Dosha usw., bereichen die Informationen zusätzlich.

Ein Buch liegt aufgeschlagen auf einer Yogamatte, daneben steht eine Tasse Tee. Im Hinetrgrund steht ein Glaskasten, in dem sich kleine Objekte befinden

Mein Kapitel: Yogatherapie bei Trauma und Burnout

Sehr wertvoll ist die eingehende Erklärung von Trauma und die Ableitung, dass vor allem Übungen, die einen ausgleichende Wirkung auf das autonome Nervensystem haben, wirkungsvoll sind. Auch werden die Unterschiede von Gruppen- oder Einzelsettings detailliert erklärt. Spannend: Explizit wird erwähnt, dass Hands on Assets, also das Berühren von Lehrer*innen des/der Schüler*in entweder gar nicht vorkommen sollte oder zuvor besprochen werden muss. Berührungen sind nicht für alle geeignet, das ist eigentlich ganz logisch und doch ist es fest in der Praxis verankert.

Gerade dass ich auf meine Erschöpfung achten darf und bestimmte Asanas oder Flows nicht geeignet sind, wird dargestellt.

Das Buch zeigt einfach immer wieder: Es ist die individuelle Therapie, die hilft. Gießkannen-Prinzip-Yoga funktioniert einfach nicht.

Was dieses Buch so besonders macht:

Tatsächlich überkommt mich beim Lesen eine große Lust auf Yoga. Ein Wiederentdecken oder auch ein „Ah, deshalb mag ich Yoga so!“-Gefühl. Indem ich die komplexen Zusammenhänge sehe, lese und begreife, erwacht einfach Lust, sofort auf die Matte zu gehen, und sich intensiv mit meiner Praxis auseinanderzusetzen. Und meine eingeschlafenen Ayurveda-Routinen wiederzuerwecken.

Das Buchcover von Yoga-Therapie in der Praxis, darauf zu sehen eien Frau, die ihre Arme zu der Adlerhaltung verschränkt

Für wen dieses Buch ein Muss ist:

Grundsätzlich, das zeigen die vorherigen Zeilen, ist das Buch für jede/n geeignet, der/die sich für Yoga interessiert. Ein Muss hingegen sollte es für jede/n Yoga-Lehrenden sein.

Und hier denke ich ganz besonders an die Menschen, die entweder ihr angeeignetes Wissen noch einmal vertiefen möchten oder aber eben jene im Gesundheitssystem arbeitenden Menschen, die Yoga halt „auch“ anbieten, aber keine klassische Ausbildung dafür haben. Das ist mir in Reha-Kliniken begegnet, oder auch bei einer MBSR-Seminarleiterin. Auch für Pflegekräfte ist dieses Buch ein hilfreiches Nachschlagewerk.

Aus meiner Sicht sind besonders der Psychologische und der neurologische Teil unheimlich wertvoll. Auch bei Yoga-Lehrenden ist die Psyche noch abstrakt, kann sich noch nicht jede/r Lehrende auf seine Teilnehmer*innen einlassen.

Hier hilft dieses Buch allumfassend. Für eine gesunde Lehrer*in-Schüler*in Beziehung und als wichtiger Teil einer Therapie für psychisch erkrankte Menschen.

Über die Autor*innen:

Bitta Boerger sieht auf mehr als 15 Jahre Yoga-Erfahrung zurück. Sie unterrichtet in Bayern sowohl kräftiges Vinyasa Yoga als auch Yoga-Therapie und traumasensibles Yoga. 2018 gründet sie die Yoga-Schule Lovelysita in Prien am Chiemsee.

Dr. med. Judith Schäfer ist Ärztin mit dem Schwerpunkt Orthopädie und arbeitet vor allem mit Blick auf die funktionellen Zusammenhänge der Anatomie und Bewegungsabläufe bei Asanas. Sie ist Dozentin in der Yoga-Therapieausbildung und bietet Sitzungen mit orthopädischem Fokus an.

Der Psychologe Daniel Helbig ist seit 2011 auf dem Yoga-Weg und ausgebildeter Yoga-Nidra- und Ashtanga-Vinyasa-Yoga-Lehrer. Als systemischer Berater und Dozent in den Yoga-Therapieausbildungen beschäftigt ihn die Schnittstelle zwischen Yoga und Psychologie.


Weitere Informationen über das Buch:

Yoga-Therapie in der Praxis
Basiswissen aus Medizin und Psychologie · Asanas und Pranayamas therapeutisch eingesetzt · Individuelle Übungsbeispiele
Verlag: O.W. Barth, München
ISBN: 978-3-426-29329-4

Zurück
Zurück

September Favoriten – Mit Rachel Harrison, ÏMAIMA, VOITED und neues von der YogaEasy Academy

Weiter
Weiter

Im Test: NUORI Haircare – Kopenhagens schönste Naturkosmetik