Warum Camouflage-Mode mich wütend macht. Besonders auf der Yoga-Matte.
Da war es wieder, genau vor mir an der Ampel stehend. Eine Frau, mit Parka und Boots. An sich nicht ungewöhnlich, klar. Aber beide Kleidungsstücke trugen ein Muster, das mich schon seit langer Zeit extrem triggert: Tarnmuster. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden – glücklicherweise. Aber im Fall von Camouflage finde ich das Muster nicht nur äußerst unästhetisch, es triggert mich, weil es für mich schlicht für Ereignisse wie Krieg, Kampf oder Jagd steht. All das lehne ich ab und zwar aus tiefstem Herzen. Schon lange wurmt mich das Muster, ich spreche sogar dann und wann Menschen darauf an und gehe ins Gespräch. Ich kann halt einfach nur schwer nachvollziehen, wie man sich aus „modischen“ Gründen in so ein martialisches Gewand hüllt, – besonders schlimm finde ist das übrigens bei Kinderbekleidung. Für mich sind Frieden und Freiheit die höchsten Güter und ich habe Sorge, dass ich in meinem Leben noch Krieg erleben muss – wieso dann also Kriegsmode tragen? Vor einigen Wochen hat es mich dann ganz von den Füßen gehauen. Ein sehr erfolgreiches, weit über die Yoga-Szene hinaus bekanntes Yoga-Label hat eine ganze Produktrange mit Tarnmuster in verschiedenen Farben herausgebracht. Dazu im Marketingtext: Der Utility-Trend ist definitiv für jeden Yogini relevant. Okay, verstehe ich nicht, erklärt ihr mir das?
Wütend über Camouflage auf der Yogamatte!
Ich war – zugegebenermaßen – alles andere als in mir ruhend, als ich empört einen Kommentar unter einen Instagram-Post des von mir bis dato ziemlich verehrten Unternehmens setzte. Für mich steht einfach fest: Krieg und Yoga passen nicht zusammen und ich fragte erbost, wieso man sich denn ausgerechnet für Flecktarn entschieden habe? In einem friedlichen, wohlbehüteten Europa benötigen wir wohl vieles, nur kein Kriegsmuster auf der Matte. Der Kommentar wurde unbeantwortet gelöscht. Auch einer anschließenden Bitte um Stellungnahme per Mail wurde leider nicht nachgekommen. Also habe ich mich selbst auf den Weg gemacht und nachgeforscht: Was sagt die Modeindustrie denn zum Thema Camouflage? Gibt es vielleicht doch eine Beziehung zwischen Yoga und Krieg? Und bin ich eigentlich die Einzige, die das Muster bedenklich findet? Oder gibt es mehr kritische Stimmen?
Schließlich befinden wir uns doch im Umbruch – im Zeitalter des „Woke“-Seins.
Mediendebatten um Camouflage in der Mode
Zunächst stöberte ich bei den deutschen Medien. Ich warf die Internetsuchmaschine meines Vertrauens, Ecosia, an und wurde schnell fündig: „Dummheit hat Flecken“ titelt da die Frankfurter Rundschau. Der Kolumnist Tom Schimmek hat eine klare Meinung, die meiner eigenen (glücklicher Zufall) sehr nahe kommt: „Zweck der Camouflage war früher die Tarnung. Heute zeigt man damit, dass man nicht mehr alle Latten am Zaun hat.“ Natürlich, es ist ein Einfaches, sich nur im eigenen Weltbild bestätigen zu lassen. Also suche ich weiter und werde abermals fündig, wieder in Form einer kritischen Berichterstattung. Diesmal kommt sie vom stern: „Dass man in Zeiten politischer Unruhen ausgerechnet zum Kampflook greift, sagt vieles über unsere Gesellschaft aus: Es ist, als wäre die Messlatte unserer Moral auf Bodennähe gerutscht. 2003, zu Beginn des Irak-Kriegs, sah das noch anders aus. Damals verbot der Musiksender Viva seinen Moderatoren, Camouflage zu tragen“, erklärt Autorin Cathrin Wißmann. Die GQ wiederum mahnt zumindest zur Vorsicht, denn in vielen (von militärischer Gewalt mehr betroffenen) Ländern dieser Welt ist das Tragen von Tarnkleidung sogar verboten. Allerdings hält die GQ laut ihrer Modestrecken Camouflage durchaus für tragbar.
Amerika und Camouflage – Pro und Contras
„Over 1 million people have been killed in Iraq, Afghanistan and Syria in the last two decades of war. So I find it slightly irritating seeing the top fashion designers co-opting war camouflage at great profit with no moral consequence.”
Weit mehr Zündstoff finde ich auf amerikanischen Seiten. Hier entzünden sich immer wieder Debatten um den Trend. In Amerika ist das Tragen von Armeekleidung salonfähig, denn die USA ist – im Gegensatz zu uns – eine stolze Militärnation. Soldat*innen, Veteran*innen und Militärangehörige tragen diese Kleidung aus beruflichen Zwecken, aber auch, um der Army und den im Krieg und Kampf verdienten Abzeichen an den Uniformen ihre Ehre zu erweisen. Auch die Trump-Supporter, die White Supremacy-Bewegung und Waffennarre tragen militärische Kleidung. Zu guter Letzt springen dann noch Models auf den Runways der Fashion Week in Military-Parkas herum. Dazu echauffiert sich Brandon Webb, Chefausbilder an der Navy SEAL-Scharfschützenschule, Autor und Blogger auf dem Militärblog Sofrep: „Over 1 million people have been killed in Iraq, Afghanistan and Syria in the last two decades of war. So I find it slightly irritating seeing the top fashion designers co-opting war camouflage at great profit with no moral consequence.”
Nach dem Sturm auf das Capitol in Washington beschäftigten sich auch Modejournalist*innen mit der Frage der moralischen Vertretbarkeit. Viele der Angreifer*innen, die das Capitol mit deutlicher Aggression und mit Umsturz-Absichten stürmten, trugen mehrheitlich Tarnkleidung und schwenkten Fahnen mit Zeichen der Konföderation oder Symbolen der Holocaust-Leugner. Indeed, nicht jede(r), der/die militärische Kleidung trägt, ist ein(e) verschwörerische(r), ultra-rechte(r), den Holocaust leugnende(r) Waffennarr/-närrin. Dennoch muss man sich die Frage stellen: Möchte man sich mit dem schmücken, was für diese Gruppe Ausdruck ihrer Zusammengehörigkeit ist?
Im Onlinemagazin Exbulletin werden verschiedene Pros & Contras zitiert. Pro sind beispielsweise die Marie Claire Redakteur*innen Joseph Errico und Julia Gall. Ihrer Meinung nach haben sich viele militärische Kleidungsstücke von ihren funktionalen Ursprüngen gelöst: „Bomber jackets, aviators, green military jackets, all are now part of the American fashion identity … It’s so beyond the classic, it transcends fashion. And it reverberates in so many ways – that’s why it’s so democratic. It’s like jeans: now ubiquitous“, sagt Julia Gall. Joseph Errico ergänzt: „I don’t think if you saw Julia Gall walking down the street in Junya Watanabe camouflage, you would think she started an insurgency … It all depends on the context.”
Hingegen die Meinung von Vanessa Friedman von der New York Times: „Madonna can impress in a Jeremy Scott camouflage ball gown at the Met Gala, but maybe, as a civilian, I should avoid items like camouflage cargo pants that could be mistaken for military gear“.
Einen ganz persönlichen Blickwinkel hat Claire Gibson, ebenfalls Autorin der Marie Claire und Tochter eines ranghohen Militärs. Sie wuchs damit auf, dass der Vater rund um die Uhr militärische Kleidung trug. Sie fand das ganz normal und shoppte sich selber quer durch die Thrifting-Shops, um ausgemusterte Army-Kleidung zu erstehen und zu tragen. Bis sie ihre kleine Schwester eines Tages im Kampfanzug sah und sich erstmals fragte: „Who was I to wear this temporal fashion trend when it had cost my friends so much?“. Seitdem verzichtet sie auf militärische Kleidung.
Einen weiteren interessanten Standpunkt fand ich bei dem feministischen Blog everydayfeminism. Autorin Annah Anti-Palindrome beleuchtet dort das Thema in ihrem Artikel „These 3 Powerful Stories Show Why Wearing Camo Can Be Anti-Feminist” und befindet: „Camouflage is a dye pattern that was initially made to disguise the bodies of soldiers during combat, so that they could stealthily hunt people on opposing armies. Let me repeat this: Camo patterns were made for the purpose of human hunting.“ Apropos hunting.
Wie Camouflage den Weg in die Mode schaffte
Es gibt mehrere Überlieferungen, wer die Art der Kriegsbedeckung erfunden hat. Auf Wikipedia findet sich diese:
Das Prinzip wurde ab 1935 von Johann Georg Otto Schick im Auftrag der Waffen-SS in verschiedenen Varianten entwickelt. Flecktarn wird für Tarnkleidung und Tarnanstriche von Gerät, Ausrüstung und Gebäuden verwendet. Durch die Anordnung der Flecken soll ein optisches Verschwimmen der Umrisse des Körpers bewirkt werden, wodurch es dem Feind erschwert wird, das Gesehene als getarnte Person zu identifizieren.
Klingt sehr en vogue, oder? Waffen-SS? Anyone? Würde mich als Modemacher*in sofort abschrecken.
In die Welt der bürgerlichen Mode schaffte Flecktarn es in der Hippie-Ära in Form von Armee-Rucksäcken, bepinselt mit Blumen, Tauben und Peace-Zeichen als Protest gegenüber dem amerikanischen Vietnam-Krieg. Auch die Punkbewegung der 80er Jahre experimentierte mit Armeekleidung, Springerstiefel oder Armee-Parka – jetzt aber mit Sprüchen wie „No Future“ oder dem „A“ für Anarchismus bekritzelt. Heute spielen große Modehäuser wie Dior oder ausgerechnet Stella McCartney mit dem Military-Muster. Auch deutsche Warenhäuser werben für den Camouflage-Look. Zalando: „Still gestanden! Hier kommt der Military Look.“ Oder Otto: „Camouflage Muster – gut getarnt und doch ein Hingucker“. Und auch die InStyle hat „kreative“ Parolen parat: „In Deckung! Das Camouflage-Muster ist zurück an der Fashion-Front – wir zeigen dir, wie du den Tarn-Print jetzt stylen solltest.“ (Spricht mich nicht an. Dich?)
Modehersteller, Shops und Magazine machen also Geld mit dem Muster, das eigentlich für Krieg steht. Okay. Aber eine Yoga-Marke, die damit Profit macht? In meinem Verständnis steht Yoga für Frieden, Menschlichkeit und Wohlwollen (Erwischt, ich zeige mich hier nicht wohlwollend dem Thema gegenüber). Doch stimmt meine Vorstellung des friedlichen Yogas überhaupt? Ich gehe abermals auf Spurensuche.
Yoga und Krieg
Als ich „Yoga+Krieg“ eingebe, kommt als Treffer sofort eine der wohl bekanntesten Asanas: Der Krieger – im Sanskrit Virabhadrasana genannt. Und tatsächlich, die Herkunft des Kriegers ist sogar ein wenig blutrünstig:
Daksha feierte einst ein großes Opferfest, aber er lud weder seine Tochter Sati noch deren Mann Shiva, den Obersten der Götter, ein. Sati ging dennoch zu der Opferfeier. Doch da man sie tief demütigte und beleidigte, warf sie sich ins Feuer und verbrannte. Als Shiva dies hörte, fühlte er sich herausgefordert, riss ein Haar aus seinen verfilzten Locken und warf es auf die Erde. Ein großer Held, Virabhadra, erhob sich aus dem Boden und erwartete seine Befehle. Es wurde ihm gesagt, er solle Shivas Heer gegen Daksha führen und die Opferfeier stören. Virabhadra und sein Heer erschienen inmitten von Dakshas Versammlung wie ein Wirbelsturm, zerstörten das Opfer, besiegten die anderen Götter und Priester und enthaupteten Daksha. Shiva zog sich im Schmerz um Sati und Kailas zurück und versank in Meditation. […] Diese Geschichte erzählt Kalidasa in seiner großen Dichtung Kumara Sambhava (Die Geburt des Kriegsgottes). Quelle: B.K.S Iyengar in Licht auf Yoga
Patanjali, der größte Yoga-Philosoph und Verfasser der bekannten Yogasutren, ruft in seinen Verhaltensregeln – den Yamas – zu einem friedlichen Miteinander, also zu „Ahimsa“ auf. Ahimsa bedeutet so viel wie „Gewaltlosigkeit“ oder „Nicht-Verletzen“ („Himsa“ = „verletzen“ und „a“ = 'nicht'). Und das inkludiert alle Lebewesen, was ich wiederum als Hinweis darauf verstehe, keinen Krieg zu dulden. Es inkludiert aber auch unsere Gedanken, Worte und Taten, die ebenso nicht verletzend und harmonisch sein sollen. Im Grunde verletze ich also dieses yogische Recht, in dem ich über die Macherinnen der Camouflage-Yoga-Leggins richte. Kompliziert!
Kleiner Funfact der Recherche: Yoga hilft auch Soldat*innen mit posttraumatischen Belastungsstörungen, ihre traumatischen Kriegserlebnisse zu verarbeiten. Aber so richtig viele Quellen darüber, wie Yoga und Krieg zueinanderstehen, konnte ich nicht finden. Und auch keinen Beleg dafür, dass Camouflage im Yoga nicht okay sein sollte.
Mein friedfertiges Ende
Es bleibt also bei meiner komplett subjektiven Meinung: Ich empfinde Camouflage im Yoga als völlig unangebracht. Viele Yogis mögen und dürfen das natürlich anders sehen. Kommentiert sehr gerne eure Meinung! Der „unverzichtbare Utility-Style“ besagter Yoga-Marke kam aber wohl nur mäßig gut an, denn er ist bereits im Sale. Die Marke wird sowieso auch von Mytheresa und Breuninger vertrieben und wird beim Latte trinken in Hamburg-Eppendorf, zum Strandspaziergang in Kampen oder an den Agentur-Schreibtisch in Berlin-Kreuzberg getragen und schon lange nicht mehr nur auf der Yoga-Matte, sie wird es verschmerzen. Jede Marke hat auch ihre eigene Strategie, mit kritischen Kommentaren und Fragen umzugehen. Das steht ihnen frei und das ist auch gut so! In meinem Fall haben sie einfach nur eine Kundin verloren. Ich wiederum habe so die Gelegenheit gehabt, mich mal eingehend mit einem meiner Trigger-Themen auseinanderzusetzen. Mit dem Ergebnis, dass ich alle meine Produkte der einst so geliebten Marke auf Vinted verkauft und den Erlös an den Verein Notruf Jemen (für das kriegsgebeutelte Land) gespendet habe. Und so schließe ich den Text friedlich mit einer meiner liebsten Metta-Meditationen: Mögest du in Frieden leben.