Rezension: Zu dumm für die Demokratie?

Ein iPad und eine Ausgabe der ZEIT zeigen Text und Buch vom Autor Mark Schiritz

Mir gefiel schon der Pressetext: Der renommierte ZEIT-Journalist Mark Schieritz fordert in seinem pointierten Debattenbuch: Nicht nur die Politiker, sondern auch die Wählerinnen und Wähler müssen Verantwortung übernehmen.

Sowas lieb ich ja, Eigenverantwortung. Und auch sonst bin ich oft eins mit den Thesen und Aussagen Schieritz. Aber oh weh: insgesamt habe ich dann doch gemischte Gefühle beim Lesen von „Zu dumm für die Demokratie?“. Im Grunde werden alle meine Weltanschauungen, meine Wertvorstellung und meine Idee eines guten Miteinanders bestätigt. Schließlich bin ich eben nicht zu dumm für die Demokratie, eher halte ich sie hoch, setze mich für sie ein.


Allein, ich weiß ganz genau, wie polemisch diese Aussage auf eben jener Seite des Tisches ankommt, an dem wir nun mal alle derzeit sitzen. Ich kann 21 Prozent Wählerschaft nicht schlicht für dämlich halten und so tun, als existieren die Leute nicht. Sie tun es. Leider.

Eines ist klar: Auch Schieritz hält diese Menschen nicht für per se dumm. Aber er sammelt eben doch aus Studien und Philosophien Gründe, warum diese Menschen zumindest ein bisschen dumm sind und eigentlich, politisch, nicht souverän genug sind, mitzuwählen. Egal, welcher Bildungsklasse sie angehören.
Und das spielt mit der Polemik unserer Zeit. Schon der Satz: wenn der Wille des Volkes gefährlich wird … ruft doch selbstverständlich eben die (mindestens) 21 Prozent auf die Barrikaden. Ich höre sie geifern „Elite!“ „Die da oben“ Links-versiffte Presse“. Wie hilft uns das?

Ein wenig Polemik ist dabei

Man muss sie sich nicht vorstellen, man kann eben diese Stimmen schon in den Rezensionsspalten von Amazon und Co lesen. Ob die Rezensent*innen einen Blick ins Buch warfen, oder sich einfach schon am Klappentext abarbeiten, sei dahingestellt. Angegriffen fühlen sie sich natürlich. Es ist der Gegenentwurf von Katja Adlers „Rolle Rückwärts DDR“, ein Buch, das ich nach drei Kapitel weglegen musste, weil es mich so getriggert hat. Der Inhalt: Wir gehen wieder in die Diktatur einer DDR, wenn wir weiter so der Wokeness-Elite erlauben, uns das Schnitzel zu verbieten und unsere Meinungsfreiheit stark einschränken, denn, so Adler: „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“.

Bei Mark Schieritz hingegen wird tatsächlich davon gesprochen: Von der Beschneidung der (Wahl-)Freiheiten für eine Gruppe Menschen, bei denen man unsicher ist, ob sie ihren Beitrag an der Wahlurne auch wirklich richtig einordnen können, oder ob sie „zu dumm“ sind, für diese Demokratie. Im Buch geht es vor allem um Krisen, heute und gestern, von der Entstehung und der Wandlung der Demokratie. Und unserer heutigen, der liberalen Demokratie. Und in dieser liberalen Demokratie ist eben nicht alles erlaubt. Volksverhetzung beispielsweise.

Im Grunde führt Schieritz auf 160 Seiten für uns viel Bekanntes, gut leserlich und nur ab und an etwas arg theoretisch, zusammen. Er zitiert Politikwissenschaftler*innen, Verfassungsrechtler*innen und weist auf historische Zusammenhänge hin. Von der Antike und somit zur Entstehung der demokratischen Formen, zur amerikanischen Geschichte und zur Verfassung Deutschlands. Auch das Ende der Weimarer Republik und wie man den Aufstieg der Nationalsozialisten theoretisch hätte verhindern können und müssen. Die Parallelen zieht ein jede/r sich selbst. Faktisch also alles mehr oder weniger bekannt. Die Zwischentöne machen das Buch aus, der rote Faden, der uns immer wieder zur aktuellen Bedrohung durch AfD und Konsorten führt.

Die AfD schwadroniert übrigens schon auf den vorderen Seiten ihres Wahlprogramms von politischen Eliten, die unser aller Schicksal in den Händen hält:

Ein Screenshot eines Wahlprogrammes der AfD

Jaja, diese Eliten

Das Problem vom Gegenwind

Das Problem: weht mir als Wähler*in einer „problematischen“ Partei immer wieder der Anti-Wind entgegen, erhellt sich dann mein Geist und ich wähle, wie durch ein Wunder, demokratisch und vernünftig? Mitnichten.

Eine Lösung für das Dilemma fordert Schieritz aus Berlin. Die Politik muss den Leuten mal klar vorrechnen, dass nicht alle Wünsche der Wählerschaft gleichzeitig zu finanzieren sind: also gleichzeitig Aufrüstung, Bildung, sichere Rente und der stabile Nahverkehr. Doch tut das meine politische Nemesis Christian Lindner nicht unentwegt und klammert sich an den Teddybären Schuldenbremse?

Gleichzeitig würde eine Katja Adler genau in die gleiche Kerbe hauen wollen: Dann sagt doch mal ganz offen und ehrlich was zur echten Migrations-Kriminalitäts-Statistik. Unbereinigt. Denn der Vorwurf, die Statistiken werfen nur Deutsch – Ausländer aus und eben nicht, Kriminelle mit zwar deutschem Pass, aber dennoch einem glasklaren Migrationshintergrund, sind ja laut bei Ihresgleichen. Alle Argumente kann man eben irgendwie auch beidseitig nutzen.

Das BIld von Kennedy und Reagan an der Berliner Mauer

Isai Ramos I Unsplash

“Das Volk soll schließlich wählen dürfen, wen es will.
Auch einen Tyrannen. Oder einen Verbrecher. Eine liberale Demokratie zeichnet sich aber dadurch aus, dass das Mehrheits-Prinzip in ein rechtsstaatliches Fundament eingebettet ist. Im Fall Donald Trumps wurden die Möglichkeiten, die der Rechtsstaat bietet, nicht ausgeschöpft.”
Schieritz

Schieritz ist das vielleicht auch ein Stück weit egal, schließlich trägt er nur die Thesen zusammen, die belegen sollen, dass (zu) viele Wähler*innen eben wahlweise verblendet, uninteressiert, ungebildet oder unmotiviert sind, sich mit den echten, richtigen Fakten auseinanderzusetzen.

Eine Demo, ein Mann hält ein Schild

Julia Taubitz I Unsplash

Sieben Kapitel für eine liberale Demokratie

Sieben Kapitel fasst das Buch, die von der Entstehung der Demokratie zu den natürlichen Grenzen der Demokratie führen. Die den Volkswillen beleuchten und wie Gesetze und Verbote helfen können, die Demokratie zu retten. Auch und besonders die Informationsmedien werden beleuchtet. Sie, insbesondere soziale Medien, sind Segen und Fluch zugleich. Auch das ist bekannt, aber Schieritz zeigt ein weiteres Mal, wie schlimm Social Media für Desinformationskampagnen, auch aus dem Ausland, gerade jetzt zur Wahl genutzt wird.

“Plattformen wie X, Facebook oder Instagram haben die
Informationsproduktion demokratisiert. An die Stelle der hierarchischen Informationsvermittlung durch traditionelle Medien treten Millionen von Nutzern, die durch ihre Lesegewohnheiten dezentrale Informationskanäle etablieren. … In der Praxis aber zerfällt die so vermittelte Öffentlichkeit zunehmend in Spezialarenen, in die nur diejenigen Informationen vordringen, die die eigene Haltung bestätigen.” Schieritz

Von Hobbits und Vulkaniern

Mark Schieritz zitiert die Arbeit vieler Wissenschaftler*innen. So geht er auch ein auf das viel beachtete Buch „Gegen Demokratie“ des Philosophen und Politikwissenschaftlers Jason Brennan. Dessen großartig pointierte Einteilung der Menschen in Hobbit (eher tumb und dem eigenen Wohle zugewandt), Hooligan (eher unflexibel und nicht belehrbar) und Vulkaniern (rational, informiert – und dadurch in hohem Maße der Demokratie mächtig) brachte mir große Freude. Er behauptet, die meisten (Hobbits) Wähler*innen sind schlicht nicht informiert genug, um souverän wählen zu können und schlägt die kontrovers diskutierte Epistokratie vor. Ich fühle mich als Vulkanierin natürlich ganz zu Hause in diesem Abschnitt, erreiche mit dieser vor mir her getragenen Anschauung aber leider keine Hobbits.

Nicht alle Meinungsverschiedenheiten
müssen eingeebnet werden,
Harmonie ist keine Voraussetzung
für Demokratie.
— Mark Schirietz
Eine Demo, man sieht ein Schild mit einem Herz, das ein Hakenkreus zerhaut

Mika Baumeister I Unsplash

Verbote, Verbote, Verbote

Um die liberale Demokratie, wie wir sie kennen und schätzen, zu retten, sollen auch Verbote und Einschränken helfen, so Schieritz und verweist noch einmal auf die Weimarer Republik.

Es gibt ein Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf ihre politische Repräsentation.” Schieritz

Hass im Herz wird aber nicht durch eine Auflösung der AfD versiegen. Hass im Herz können wir nur verändern, in dem wir verstehen, was diese Hobbits frustriert udn damit arbeiten. Mitnichten will ich hier für Verständnis von AfD-Wähler*innen aufrufen. Ich bin da auch zwiegespalten: Gut verstehen kann ich AfD-Wählende in abgehängten, verarmten Städten wie Duisburg, mit hoher Kriminalitätsrate, hoher Arbeitslosenquote und einer allgemein maroden Struktur. Nicht gut verstehen kann ich AfD-Speckgürtel-Eigenheim-Besitzer*innen mit SUV und dreimal jährlich Mallorca. Beide eint aber offenbar ein Motiv. Verbieten wir nun die AfD, schränken sie ein, whatsoever, was passiert dann mit den Motiven der Menschen. Eine Umkehr an CDU oder SPD ist undenkbar, viel mehr profitiert das Bündnis Sahra Wagenknecht oder die Werte-Union. Ist uns damit geholfen?

Was mir im Buch fehlt, ist die Bezugnahme zu Europa und den jeweiligen europäischen Demokratien. Was läuft dort gut, was nicht. Wer kann von wem lernen. Wir sind schon lange nicht mehr die kleine Schwester der USA. Warum also der inflationäre Vergleich mit der Zwei-Parteien-Weltmacht und Trump/Biden/Harris?


Das Buchcover von Zu dumm für die Demokratie von Mark Schieritz

Mein Fazit zu „Zu dumm für die Demokratie?“:

Meine innere Vulkanierin hat sich in ihrer conformation bias wohlig gesuhlt. Aber mir fehlt der Blickwinkel der anderen Seiten. Ich will das große Ganze überblicken können, nicht meinen eigenen Tunnelblick. Ich bin nicht für Verbote. Ich kann faschistische Denke nicht verbieten und im Gegensatz zu dem Ende der Weimarer Republik kann die AfD sich in einer Nanosekunde in einer der anderen rechts-konservativen Parteien neuformieren. Vielleicht brauchen wir einfach die AfD einmal in der Regierungsarbeit, um Hobbits und Hools zu zeigen, dass die Utopien der Alice Weidel aus der BRD auch kein Land zaubern kann, in dem Milch und Honig fließen.

Aber ich bin auch nur ein kleiner Geist und der Autor hat eben jenen politischen Überblick, das ist sein Brot & Butter Geschäft. Ich habe nur eine Meinung, er aber hat die harten Fakten. Für meine Bubble ist das Buch absolut lesenswert, es verstärkt schlicht unsere Meinung. Für alle anderen wäre es zwar ebenfalls lesenswert, aber ich bezweifele, dass sie es in die Hand nehmen.


Über den Autor:

Mark Schieritz ist stellvertretender Ressortleiter im Ressort Politik der ZEIT, er hat Politik und Volkswirtschaft unter anderem in Harvard studiert. Und: er hat die großartige und bedauerlicherweise eingegangene Financial Times Deutschland mitbegründet. Er gibt damit ein wunderbares elitäres Feindbild für die „Wut-Bürger“ ab. Aber zu ihrem Verdruss: er ist einer, der in seinem Buch nicht gendert.

Über das Buch:

Mark Schieritz: Zu dumm für die Demokratie?

160 Seiten

ISBN: 978-3-426-56463-9 
Verlag: Droemer TB

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