Wahl 2025: Volt oder DIE GRÜNEN – das ist hier die Frage!

Das Wahlplakat zur Bundestagswahl 1983 zeigt ein ein von Kind gemaltes Bild mit Sonne und Baum

Credit: Archiv Grünes Gedächtnis

1998 durfte ich erstmals wählen. Voller Überzeugung und mit glühendem Herzen setze ich meine Kreuze bei der SPD: Ich kannte Schröder persönlich und hatte, seit ich 12 war, einen veritablen Crush auf ihn. Eindeutiger Vaterkomplex.

Schon bei der nächsten Wahl setzte ich die Kreuze bei rot-grün. Und ab der Geburt der Tochter gab es nur noch grün.


Ich war auch immer Parteimitglied, erst bei der SPD, dann GRÜNE, dann wieder getauscht und zurück. Bis mir die GRÜNEN zuletzt zu arg in die Mitte rutschten und ich austrat. Nun bin ich parteilos und ratlos gleichermaßen. Ich gehöre erstmals zu den knapp 27 Prozent unentschlossenen Wähler*innen.

Die Grünen sind mir zu wenig radikal, ich vermisse die Anfänge dieser Wirbelwind Partei, die strickend und langbärtig in Bonn die Konservativen aufmischten. Diesen Anfängergeist fand ich jetzt bei Volt wieder: Eine Partei mit progressivem, agilen und vor allem pro-europäischen Wahlprogramm. Neben einem radikalen Umweltschutz (ich unterstützte die Letzte Generation), fehlt mir in diesem Wahlkampf vor allem ein Getöse um die dringend nötige Transformation in ein digitales Deutschland.

Wir brauchen, und das in absehbarer Zeit, einen digitalen Ruck. Vor allem im Kopf. Das Festhalten an alten Geschäftsmodellen und Wirtschaftszweigen ist wahnsinnig ungesund für unser Land. Wir haben seit den 70er Jahren konsequent die Digitalisierung verpennt. Wenn wir heute mal Talente im Bereich Start-up vorweisen, werden die schneller abgeworben ins Silicon Valley, als Lindner das Wort „Schuldenbremse“ aussprechen kann. Unser Netz ist unfassbar langsam, und so lahm ist unsere Innovationskraft in Deutschland. Wir halten fest am Verbrenner und rennen dabei komplett an der Mobilität der Zukunft vorbei – das große Geschäft macht deshalb China. Ich empfehle hierzu das augenöffnende Buch „Kaput – The End of the German Miracle“ von Wolfgang Münchau.

Maral Koohestanian von Volt ist hier zu sehen

Credit: Volt Deutschland

Jetzt also Volt auf meiner Agenda. Progressiv, pan-europäisch, super jung. Wir brauchen ein starkes Europa, jetzt. Ich will nie wieder so ein katastrophales „in den Staub werfen“ erleben müssen, wie nach der Antrittsrede von J.D. Vance. Dass diese Rede zu 100 Prozent genauso ausfallen wird, das war bereits im Sommer 2024 klar. Warum nur zeigen sich europäische Politiker*innen dann so „betroffen“ oder gar „geschockt“. Lässig hätten wir reagieren müssen, souverän und stark. Statt der Titelzeile „Merz zeigt sich geschockt“ will ich lesen: „Europa kontert geeint“. Warum haben wir keine Sprachregelung für diese Art der autokratischen Politik der Gegenwart? Das kommt doch nicht urplötzlich wie Kai aus der Kiste. Wir brauchen europäische Strategien für die Bedrohungen unserer Zeit. Gestern schon und nicht erst heute, weil Putin, Trump und Xi Jinping uns dazu zwingen.

Volt: Jung und naiv?

Ich sehe einer jungen Partei mit jungen Menschen viele Fehler nach. Wenn die Spitzenkandidaten Maral Koohestanian bei Thilo Jung inhaltlich nicht sattelfest ist, sehe ich ihr sofort das nach. Die stehen am Anfang, die müssen Fehler machen dürfen. Mein Direktkandidat in meinem Wahlkreis ist allerdings erst 19. Und seine bisherigen politischen Erfahrungen beschränken sich auf das Amt des Schulsprechers. Das ist für mich tatsächlich eher ein Argument gegen mein Kreuz bei Volt. Zwar würde ich ihn in einer Landtagswahl gerne wählen, hier, jetzt, in diesem Wahlkampf ist er mir leider noch zu unbefleckt. Mein GRÜNE-Kandidat Daniel Beer ist hingegen mehr mein Jahrgang, ist das Segen oder Fluch? Ich weiß es nicht.

Ein junger Mann blickt in die Kamera

Bruderherz Luca Stolzenwald

Luca ist bei Volt eingetreten

Ich finde das extrem gut: Mein Bruder ist jüngst bei Volt eingetreten. Nach einem kleinen Zitat zu seinem Beitritt und Motivation befragt, holt er aus:

Es gibt viele Parteien, deren Grundwerte ich teile und die für mich infrage gekommen sind, dort einzutreten und aktiv zu werden. Leider mangelt es den Parteien aber daran, mir wirklich eine Perspektive zu zeigen. Am ehesten hatte ich mit der SPD (wen wundert es, wenn man sich die Familie genauer ansieht) und der Linken geliebäugelt. Die Sozialdemokrat*innen sind leider nicht mehr das, wofür sie mal standen und für mich auch stehen sollten. Die Arbeiter*innen sind schon lange aus dem Fokus der Partei gerutscht. Einen Kanzler, der „im großen Stil abschieben“ möchte, nur um so noch einige Stimmen zu erhaschen und die lautesten in der Gesellschaft zufriedenzustellen. Und der so sehr unter Gedächtnisverlust leidet, dass er sich einfach auch nicht mehr an seine größten Steuerspar-Coups erinnert, ist für mich einfach an der falschen Stelle. Spätestens nach der Auflösung der Ampel-Koalition hätte ich von Scholz mehr Demut erwartet. Das wäre der perfekte Zeitpunkt gewesen, den Weg freizumachen. Die Linke hat sich in der letzten Zeit zu sehr mit der eigenen Selbstzerfleischung beschäftigt. Ich mag den Gysi und auch Heidi Reichinnek ist eine tolle Politikerin. Aber auch bei der Partei fehlt es mir an Vorstellungskraft, wie sie ihre Forderungen in der Realität umsetzen möchte. Mir fehlt bei all diesen Parteien der Blick nach vorne und nach Europa.

Eine Europa-Flagge im Wind

Christian Lue I Unsplash

Ein einzelner Nationalstaat kann durch rigorose Konzentration auf sich und Abschottung nach außen nicht erfolgreich sein. Die besten Beispiele der Geschichte kennen wir alle: China, Japan, Nordkorea … Ich bin kein Deutscher, ich bin Europäer, besitze zwei Staatsbürgerschaften und kenne meine Familiengeschichte.

Europa findet in der derzeitigen politischen Debatte keinen Platz und das macht mir Angst. Ich liebe meine Freizügigkeit, ich finde es toll, dass Studenten gefördert werden, in anderen Ländern zu studieren. Ich finde es toll, dass mein Cheddar-Käse zollfrei bei mir auf dem Tisch landen kann. Und mit allen diesen Privilegien, die wir als Europäer*innen haben, spielen wir grade.

Mir fehlen die Zukunftsaussichten, wie eine SPD, Linke, Grüne …, das Thema Europa angehen möchte. Ich weiß, in Europa ist nicht alles gut und die EU benötigt eine grundlegende Reform. Institutionen, in denen durch Vetos grundlegende Themen geblockt werden können und jede Entscheidung mit Deals wie auf einem Basar „Du bekommst meine Zustimmung, aber dafür musst Du mir dies und das Zusichern“ getroffen werden, ist einfach ineffizient. Auch die Bürger*innen kommen in so vielen Bereichen des politischen Lebens zu kurz. Wir wählen alle 4 – 5 Jahre Abgeordnete, die uns völlig fremd sind in ein Parlament, hoffen, dass sie die Politik machen, die wir uns wünschen und unsere Ansichten teilen und bemängeln dann, dass die Politiker*innen die Wähler aus den Augen verlieren. Eine gerechte Demokratie kann nur durch Bürger*innenbeteiligung, über die auch über Wahlen hinaus Einfluss auf politische Entscheidungen genommen werden kann, funktionieren. In Deutschland sind mehr als 30 % der Wahlberechtigten zwischen 40 und 59 Jahre alt und mehr als 42 % der Wahlberechtigten über 60 Jahre alt und der Anteil wird in den kommenden Jahren durch den demografischen Wandel steigen. Die Themen, die diese Altersgruppe bewegen, sind ganz andere als die Themen, die junge Menschen bewegen. Klimaschutz und Innovationen vorantreiben? Die meisten der Wähler*innen sind so alt, dass sie die Auswirkungen dieser Maßnahmen gar nicht mehr erleben werden. Die Stimme der jungen Menschen geht im Populismus der Menschen, die nachhaltige Politik eh nicht mehr erleben werden, unter. Junge Menschen sollen ein Gehör bekommen. Das fordern zurzeit aber nur wenige. Warum auch? Die meisten Stimmen gibt es ja von den alten Menschen.

Eine Person trägt eine Mütze in tiefblau mit gelben Sternen, stehend  für Europa

Oliver Cole I Unsplash

Die paneuropäische Partei

Eine Zukunft Europa finde ich nur mit einer paneuropäischen Partei. Eine Partei, die nicht nur auf ein Land guckt und sich im Nationalstolz verliert. Europa ist vielfältig, Deutschland ist vielfältig. Das wird auch eine Schließung von Grenzen nie ändern. Wir können viel von anderen europäischen Ländern lernen. Wieso soll man das Rad immer wieder neu erfinden, wenn es doch gute Lösungen direkt vor der Haustür gibt? Warum schauen wir nicht mal das Bildungssystem in Skandinavien an? Oder bestaunen, wie gut Digitalisierung in den baltischen Ländern funktioniert?
Wir sind in einer Zeit, in der wir es uns nicht leisten können, Politik durch die Ideologie-Brille zu betreiben. Wir brauchen grade pragmatische Lösungen. Lösungen, die funktionieren und wirkliche Chancen haben, den Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen. Migration – die es in Europa seit Jahrtausenden gibt -, demografischer Wandel, Gefälle zwischen Arm und Reich, Klimaschutz, Bildungsgerechtigkeit. Die Themen müssen angegangen werden. Mit einem großen „Ja“ zu „wir wollen Lösungen finden und nicht nur jammern“, mit einem „Ja“ zu „die Zukunft geht uns alle an“. Dieses „Ja“ finde ich zurzeit nur in einer Partei, in einer jungen, vielfältigen, diversen Partei, die sich in ganz Europa engagiert und die Themen auch angehen will. Europäisch, gerecht, zukunftsorientiert.

In einer Zeit, in der wieder einmal gilt, dass der lauteste recht hat und auch ohne Inhalt einfach durch lautes Gebaren als „die Mehrheit“ wahrgenommen wird, müssen alle diejenigen aktiv werden, denen das gegen den Strich geht. Wer an unserer demokratischen Freiheit hängt, sollte grade jetzt aufstehen und für diese hart erkämpften Grundrechte einstehen. Demos, politische Arbeit, Artikel schreiben. Alles erlaubt und legitim. Und ich bin jetzt aufgestanden und habe die direkte politische Arbeit als mein Mittel ausgewählt.

 
Politiker Robert Habeck blickt in die Kamera

Credit: Dominik Butzmann I GRÜNEN

… Und ich bleib’ doch bei den GRÜNEN.

Da schwillt das Große-Schwester-Herz und ich war auch wirklich so weit … jedoch: Ich setze mein Kreuz schlussendlich doch bei Habeck. Wieder bei Grün. Obwohl ich nicht grundlegend damit ok bin, obwohl ich die Politik der letzten Jahre als zu wenig radikal empfand. Luca bringt es auf den Punkt: weg vom eigenen Tellerchen, wir müssen europäisch denken und handeln. Auch und vor allem bei meinem ganz großen Thema, dem Umweltschutz. Aber diese Wahl ist zu brandgefährlich. Ich blicke mit Sorge auf morgen und erwarte einen viel höhere Prozentzahl für die AfD, als es die Demoksop*innen jetzt schon vorhersagen.

Tatsächlich haben mich die GRÜNEN zuletzt auch im Wahlkampf wieder ein wenig eingefangen. Und wisst ihr, womit? Mit Newsletter. Niemand hat so guten Newsletter-Wahlkampf betrieben, wie die GRÜNEN. Ich weiß das, ich habe die Letter aller Parteien, auch der AfD, abonniert. Und keine Partei war dabei so schnell, so informativ und auch innovativ, wie eben die GRÜNEN.

Und deshalb gehe ich erneut auf „Nummer sicher“, ich erhoffe mir eine Regierungsbeteiligung der GRÜNEN, die es Merz mit seiner anachronistischen Politik das Leben schwerer macht. Auf keinen Fall will ich morgen riskieren, der AfD eine Regierungsbeteiligung zu gewähren.

Meine persönliche Bitte an Robert

Ich weiß, dass Regierungsbeteiligung immer auch heißt, Kompromisse zu schließen. Ich weiß auch, dass selbst die kleinsten Auflagen zu großem Protest in der Bevölkerung führen, Stichwort: Heizungsgesetz. Aber ich weiß auch: dieselben Stimmen werden krakeelen, wenn sie endlich mal verstehen, das ewig-gestrige ist vorbei und ihr Wohlstands-Arsch ist durch den eigenen Hedonismus gefährdet. Ciao, garantierte Ernten, Ciao, USA-Schulterschluss und dafür: Hallo, Klimaflüchtlinge. Ihr müsst wieder mehr Radikalität wagen. 2029 wähle ich sonst Volt.

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Mit Burnout auf psychosomatischer Reha – So war es

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Rezension: Zu dumm für die Demokratie?