Kulturelle Aneignung im Yoga & Wie ich damit hier umgehe
Auf diesem Blog schreibe ich über Yoga. Obwohl ich kein Teacher-Training absolvierte, obwohl ich keine indischen Schriften studiert habe, obwohl ich super selten Yoga-Studios oder Events besuche. Ich mache das, weil ich Yoga für mich entdeckt habe, weil ich täglich auf der Matte stehe und Yoga ein Teil von mir wurde. Und weil ich gerne über die Dinge, die ich liebe, schreibe. Klar. Ich verdiene allerdings auch kein Geld mit diesem Blog und somit nicht mit Yoga. Ist das trotzdem problematisch, hinsichtlich der Kulturellen Aneignung?
Ich bin eine weiße, privilegierte Frau aus Europa. Ich profitiere davon, dass die britischen Kolonial-Herren (und Damen) Yoga nach Europa importiert haben. Ich profitiere aber auch von der westlichen Ausrichtung des Yogas, denn erst diese hat ihn mir zugänglich gemacht. Eine indische Yoga-Stunde habe ich noch nicht besucht. Ich kenne auch keine indischen Lehrer*innen.
Ich nutze keine Social-Media-Kanäle und bin auch in keiner Yoga-Bubble. Aber die Thematik Kulturelle Aneignung rund um Yoga habe ich dennoch verfolgt. Auf dem Blog Fuck Lucky Go Happy, auf Shantifa, in Podcasts oder auch in Yoga Magazinen. Gerade weil FLGH sich so intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat, muss ich hier nicht noch einmal definieren, was die Definition der Kulturellen Aneignung bezogen auf Yoga ist. Aber: ich hinterfrage mein Tun und mein Handeln, meine Überzeugungen und auch den zukünftigen Umgang damit hier auf dem Blog.
Die richtige Position finden, auch abseits der Matte
Selbst die FLGH-Yoga-Expertinnen ringen um ihre richtige Positionierung, um keine von Aneignung betroffenen Personen zu verletzten. Und die geben Unterricht und richten ihr gesamtes Leben nach Yoga aus. Das macht es mir erst recht schwer, die Yoga ja nur so ein bisschen lebt.
Ich bin Atheistin und nur sehr bedingt spirituell – weder suche ich nach Erleuchtung, noch nach der Verbindung im inneren oder äußeren, mit dem Göttlichen. Auch ein absolutes Mitgefühl und bedingungslose Liebe für Menschen (bei Tieren gelingt mir das gut) liegt mir fern. Und trotzdem verbinde ich mich, jedes Mal auf der Matte. Mit dem Moment, mit meinem Sein, Körper und Geist. Aber das ganz undogmatisch. Ich befolge schon aus meiner Natur heraus – zumindest im Groben – die Yamas und Niyamas, allerdings in der eigenen Interpretation. Ahimsa als bindende Vorschrift in Patañjalis achtgliedrigem Yoga-Pfad kann ich nun wirklich nicht einhalten, ich bin angesichts der letzten Jahre und dem Verhalten von Mitmenschen zur respektablen Misanthropin geworden: die Zerstörung des menschlichen Lebensraumes, die Kriege, die deutlichen Zunahme an totalitären Staatsführer*innen und AFD-Sympathisant*innen. Aber wer weiß, Patañjali hätte heute sicher auch einen anderen Blick auf die Welt.
Gleich mal in die ausbeuterische Konsumfalle getappt
Ich habe mich durchaus mit der Geschichte des Yoga auseinandergesetzt, habe dazu mehrere Bücher gelesen und im Schrank stehen, ich habe viele Magazine dazu durchblättert und höre Podcasts zu dem Thema Yoga. Aber als ich anfing, mit einer Yoga-Praxis, bin ich damals direkt ins Rabbit hole und in die Kulturelle-Aneignung–Konsumfalle gefallen.
Denn: Ich war zu der Zeit noch auf Instagram unterwegs und bin sofort lauter schönen, weißen, deutschen Yoga-Lehrerinnen gefolgt; dachte, ich habe es geschafft (was eigentlich. Was „geschafft“?), wenn ich den Skorpion beherrsche und die neuste Hey Honey-Leggings war mir wichtiger als jedweder Yoga-Pfad, Ganesha-Figur inklusive. So wurde es mir auch digital vorgelebt: Full Moon – Klebesteinchen, Women Circle mit Kakao-Zeremonie, Laura Malina Seilers-Geschwurbele – ich habe das alles inhaliert und habe dabei kapitalistischen Lifestyle mit einer ehrlichen Praxis verwechselt. #yogaeverydamnday meets #healingcrystals meets #shoptillyoudrop.
Denn hinter all dem steckt eine millionenschwere Wellness-Industrie, die global mit einer alt-indischen (oder peruanischen, oder balinesischen, you name it) Tradition exorbitant hohe Umsätze einfährt – das Geld landet aber nicht in Indien.
Hier in Hamburg habe ich ein paar Studios besucht und nur eine davon hat tatsächlich die traditionelle Yoga-Kultur offen geehrt. Hat erzählt und erklärt, hat Mantren zwar gesungen, aber die Geschichte und Bedeutung dahinter aufgezeigt. Nur bei ihr hatte ich das Gefühl, wirklich Yoga zu erfahren. Sie hat auch ganz einfach Hatha unterrichtet, und keine der Teilnehmer*innen hatte eine teure Leggings an. Es ging hier um das Wesentliche.
Die Yogini ist letztlich auch nur ein Mensch
Zu vielen Yoga-Lehrerinnen, denen ich begegnete, habe ich eine persönliche Geschichte erlebt oder von einer Freundin, die es erlebt hat, erfahren. Auch nach 1.000 Stunden Teacher-Trainings bleibt dieser Mensch ein ganz profaner Mensch. Mit Lügen, mit schlecht über andere reden. Ich habe Lehrerinnen erlebt, die Gaslighting betrieben, die im Berufsleben betrogen haben, die versuchten, sich in bestehende Beziehungen zu drängen oder die so narzisstisch waren, dass ihre Familie und Freunde darunter maximal litten, sie diesen Narzissmus aber sehr gewinnbringend auf Instagram verkaufen konnte. Ist das jetzt also „echtes“ Yoga, was diese Frauen praktizieren, so wie es ursprünglich gedacht war? Oder ist das westlicher Kapitalismus, verkleidet im Yoga? Und ist das, wenn diese Yoginis letztlich auch nur Normalos abseits des Pfads sind, dann okay, wenn ich mich dem Yoga bediene?
Mir schwirrt der Kopf. Deshalb fällt mir die Position so schwer. Ich möchte Yoga machen, Zuhause, auf meiner Matte. Ich selber praktiziere mein Yoga – hier: meine Asanas – ausschließlich zu Hause. Und ich praktiziere nur Yin Yoga, Yoga Nidra oder Slow Yoga, ich bin weit entfernt von fordernden Klassen mit Ausrichtungen wie Ashtanga, Iyengar oder Vinyasa. Wieder: Ist das okay? Ich habe Respekt für die indische Yoga-Kultur. Ich schaue mit Sorge auf den Hindu-Nationalismus. Ich lese weiterhin Buch um Buch, um Yoga besser zu verstehen – und um die ausbeuterische Kolonial-Geschichte Europas zu begreifen. Und spende jeden Monat Geld an diverse Organisationen weltweit. Ist das also „ok“? Darf ich ruhigen Gewissens Yoga betreiben – und darüber schreiben?
Wie kann Yoga de-kolonialisiert werden?
FLGH und auch der empfehlenswerte Podcast „Schluss mit Namasté?“ vom Deutschlandfunk haben beide mit Sangeeta Lerner über Kulturelle Aneignung des Yogas gesprochen. Sangeeta wurde 1979 in Bombay geboren und zog 2013 nach Berlin. Dort war sie zunächst überrascht über die westliche Interpretation des Yogas, die nichts mit der indischen Praxis zu tun hat. Mittlerweile betreibt sie ihr eigenen Studio in Berlin. Und gibt dort den Workshop „Decolonize Yoga Workshop on Cultural Appropriation. Mentorship for Yoga Teachers“. Würde ich Yoga unterrichten, ich würde diesen Kurs belegen.
Mein Fazit zu meiner Kulturellen Aneignung
Kulturen verändern und tauschen sich aus, das haben sie schon immer getan. Aber darum geht es hier nicht. Es geht um den Respekt, den wir privilegierten Menschen aus dem Westen, Kulturen und Menschen gegenüber entwickeln müssen. Indem wir Machtverhältnisse, meist in Zusammenhang Kolonialisierung, ausgenutzt haben, um uns an der Kultur zu bereichern. Wir müssen uns informieren, uns respektvoll gegenüber bestimmten Abbildungen oder Schriften, Liedern oder Mantren zeigen.
Mir bleibt, künftig meine Interviewpartner*innen, wie die Yoga People Hamburg, nach ihrer Einstellung zum Thema zu befragen. Ich werde niemanden aufgrund seiner Meinung zu dem Thema ausschließen, finde aber den Dialog dazu wichtig. Ich bleibe bei meinem Yoga und habe kein schlechtes Gewissen, darüber zu schreiben. Vor allem, solange ich mich nicht daran bereichere. <3