Krieg und Klimakrise, trotzdem Optimist – im Gespräch mit Pohlmann
Während wir sprechen, steht Pohlmann in seiner halb ausgeräumten Wohnung – er zieht gerade um. Der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist erst eine gute Woche her. Ich hatte Pohlmann eigentlich nur für ein Statement angefragt, weil ich weiß, dass er keine Scheu hat, sich auch mal politisch zu äußern. Doch aus ein paar Sätzen wurde ein ganzes Gespräch. Lucky me!
Ich mag Pohlmann sehr; mag ihn bei weiten nicht nur aufgrund seines „ihr-wisst-schon-welchen“ Songs; mag, dass er so eine freche Schnauze hat; mag seine Texte und mag sein Engagement fürs Klima. Eigentlich stand er auf meiner Wunschliste für eine neue Rubrik, die ich geplant hatte. Da wäre es um Hamburg gegangen und ein bisschen Leben und so – easy Themen also im Gegensatz zu dem, worüber wir uns jetzt unterhalten: Krieg in Europa und eine globale Klimakrise. Und trotzdem bleibt der Mann Optimist.
junieundich: Wie hat dich die Nachricht der Invasion erreicht? Warst du darauf vorbereitet oder hat es dich dann doch trotz aller Spannungen im Vorfeld kalt erwischt?
Pohlmann: Es gab jeden Tag eine andere Meinung und Einschätzung in meinem Inneren dazu. Aber grundsätzlich war da dieses Gefühl, dass Putin seine Drohungen vielleicht doch ernst meinen könnte, da, wenn ich das richtig verstehe, seinen Wünschen nach einer entmilitarisierten Pufferzone nie nachgekommen wurde und die Osterweiterung einfach ein Spiel mit dem Feuer war. Als er dann einmarschierte, war ich zunächst der Meinung, so widerrechtlich es auch war, dass es schnell gehen würde, ohne große Verluste. Der richtige Schock setzte dann einen Tag nach dem Einmarsch ein. Da wurde mir klar, dass ich das alles falsch eingeschätzt hatte.
Auf der politischen Ebene hat man immer gedacht: Putin ist ein Schachspieler, das ist ein schlauer Typ. Bestimmt war er das auch, aber ich glaube nicht, dass er das mittlerweile noch ist. Ich hatte auch nicht erwartet, dass die Ukrainer*innen als souveränes, eigenständiges Volk dann so einen Widerstand leisten können. Aber sie sind so lange Zeit schon in unserer Form von Freiheit eingebunden, haben das leben können und wissen ganz genau wie in Russland unterdrückt wird. Ich verstehe jetzt auch vieles so viel besser, eben dass es nicht selbstverständlich ist, so frei leben zu können, wie wir das tun. Putin ist der Meinung, man muss hart führen. Tschetschenien, die Krim, die Unterstützung Assads hat ihm – in seiner Welt – recht gegeben. Er agiert rücksichtslos und setzt seine dann Leute ein: Lukaschenko oder Kadyrow, um hier nur zwei seiner Despoten zu nennen. Putin würde sagen: Das macht der Westen doch genauso – sieh zu, dass irgendwo Revolutionen ausbrechen oder Putsche stattfinden, um dann die eigenen Leute einzusetzen.
Kannst du denn verstehen, dass russische Bürger, die nur das Staatsfernsehen und die Staatsmedien konsumieren, Putin unterstützen?
Ja, leider und natürlich. Hitler und Goebbels wussten auch sehr schnell, wie man die Medien beherrscht und haben die Leute damit auf Spur gebracht. Ich hatte unlängst eine Diskussion mit einem Typen zum Thema „Deutsche Mahnkultur“. Er war der Meinung, wir würden unseren Stolz verlieren, wenn wir uns ständig an unsere Schande erinnern würden. Man könnte das an den deutschen Fußballern sehen, die gar nicht richtig die Nationalhymne mitsingen würden, während andere Spieler dabei viel mehr Stolz beweisen würden. Mir ist die Hutkrempe hochgegangen, bei einer solchen Kleingeistigkeit. Ich sagte zu ihm „Diese Mahnmalkultur in Deutschland steht für die Grausamkeit, die der Mensch an sich und immer wieder fähig ist, anzurichten. Jedes Mahnmal, was nicht aufgestellt wird, ist eins zu wenig.“ Er erwiderte daraufhin, „Zu so etwas wie damals wären wir heute nicht mehr fähig und wir seien darüber hinweg.“
Na, das sieht man ja jetzt, wo es hinführt, wenn wir uns unserer Untaten nicht bewusst sind. Die Gräueltaten Stalins wurden in Russland bis heute nicht aufgearbeitet!
Fight, Flight, Freeze – das sind die drei Mechanismen der Psyche, die in Situationen, die mit einem hohen psychischen Druck einhergehen, wie es eben bei Krieg der Fall ist, in der Regel Anwendung finden. Welche der drei Mechanismen greift da bei dir?
Ich bin voll Fight, auch wenn ich jetzt noch keiner Aktion beigetreten bin. Ich schaue den ganzen Tag Nachrichten. Bei mir läuft Phoenix in Dauerschleife, während ich Umzugskartons packe. Und ich habe viele lange Telefonate, in denen man seine Einschätzungen austauscht und „was-wäre-wenn“-Pläne macht. Am Ende steht dann oft die Frage, ob man seinen Hintern eher in Sicherheit bringen oder in den Krieg eintreten würde – egal ob man Wehr- oder wie ich Zivildienst geleistet hat. Aber der Krieg kommt nicht bis nach Deutschland. Vorher haben wir den totalen Blackout und das Problem mit dem CO₂-Ausstoß der Menschheit hat sich erledigt.
Deine Tochter Mina ist noch sehr jung, aber alt genug, um die volle Berichterstattung mitzubekommen. Wie sprecht Ihr miteinander über Themen wie Politik, Klimaschutz und jetzt eben über das große Schreckensbild Krieg?
Sie hat noch die kindliche Naivität, die ich ihr zwar lassen könnte, was ich aber nicht ganz richtig finde. Sie hat letztens einen kindlichen Witz über Krieg gemacht und ich war gerade auf dem Zenit meiner Erschütterung und meinte zu ihr: „Mina, Krieg ist was ganz Schlimmes, da werden Menschen getötet und zerbombt. Das sind Kinder in deinem Alter und die sehen Sachen, die sollte sie gar nicht sehen.“ Ich rede mit ihr viel über den Klimaschutz und bin dabei relativ dramatisch. Denn es ist mir seit Langem klar, wie nah wir am Abgrund leben. Die Zukunft der Jugend auf jeden Fall. Wir müssen extremste Veränderungen vornehmen, schließlich ist das Leben, welches wir für normal halten, extrem in seiner Zerstörung des Planeten, dessen Lebensbedingungen mit den unseren verbunden sind.
Es ist so: Während eines Gespräches mit einer Kollegin meinte diese, nachdem wir uns über einen vermeintlichen Atomkrieg aufgeputscht hatten, es wäre alles so unwirklich. Wir würden doch jetzt alle einen Corona-Lockdown über fünf Monate dieser Situation vorziehen. Da dachte ich: Falls wir lebendig und funktionell aus der Sache herauskommen sollten, müssen wir uns dieses Gefühl erhalten. Das Gefühl, dass unser Leben und unsere Freiheit nicht selbstverständlich sind. Aber es gab mir auch die Erkenntnis, dass die Menschen, die sich tagtäglich mit der Unwirklichkeit und den Extremen des Klimawandels auseinandersetzen, dieses Gefühl schon lange in sich tragen. Genauso in seiner Direktheit und Bedrohung, wie jetzt die Menschen die Bedrohung ihres Lebens durch den Aggressor Putin fühlen und mit den Ukrainer*innen leiden. Die Ökobewegung der 70er Jahre fühlte die reale Bedrohung eines durch Raubbau zerstörten Planeten auch schon damals:
Es tut weh bevor es weh tut.
Nur mit dieser Empathie kommen wir weiter. Es macht einen fertig. Es macht alle fertig, aber wenn wir jetzt kein schlechtes Gewissen bekommen, ist es bald zu spät. Die Brutalität des Menschen ist seit Jahrmillionen in uns verankert. Unser Gehirn ist größtenteils Copy&Paste durch eine sehr lange Zeit der Evolution gereist. Als Überlebenskampf haben wir mittlerweile andere Mechanismen gefunden, wie shoppen auf Amazon. Wir ‚kämpfen‘ in unserem Leben um Dinge, die einfach total lächerlich sind, aber es ist immer das gleiche Prinzip. Der Mensch wird schnell wieder zum Tier, egal wie zivilisiert wir heute sind. Ich bin eigentlich ein Menschen-Fan, ein Philanthrop, und sehe eine Verantwortung in uns. Wenn man bedenkt, dass unser Dasein nicht selbstverständlich ist und der Mensch in der Entwicklung des Planeten, dieser vielen Millionen Jahre, dabei sein darf, inmitten eines Universums, einem Sternhaufen mit zehn Millionen Sonnen, da hat man doch eine Verantwortung dem Leben gegenüber. Mich berührt es immer sehr, wenn der Mensch voller Liebe ist und zu voller Bewunderung fähig ist. Und genauso enttäuscht bin ich von mir und der Menschheit, dass wir unseren Möglichkeiten nicht gerecht werden, als wären wir zum Untergang verdammt. Nur darf dieser Gedanke niemals Chef sein.
Ich glaube übrigens nicht, dass ausschließlich Corona für die zunehmend vielen Depressionen in der Bevölkerung verantwortlich ist. Es ist auch das Heraufkommen eines Schuldbewusstseins, mit dem sich die Menschen immer mehr beschäftigen müssen. Der Klimawandel ist genauso schlimm, wie der Atomkrieg. Es dauert nur länger. In dem Film „Don‘t look up“ ist der Meteor auch nur ein Stellvertreter-Szenario für das Verdrängen von Tatsachen, wie die Zerstörung des Planeten. Am Ende hätten alle Szenarien das gleiche Resultat und der Mensch wäre, wie ein Meteor, nur eine Naturkatastrophe. Aber daran will ich nicht glauben.
Also ja, zurück zu deiner Ursprungs-Frage: ich rede mit meiner Tochter darüber. Mittlerweile auch über den Krieg. Ich ermögliche ihr die superschönsten Tage, wenn ich kann. Denn das „Jetzt“ ist das einzige Leben, welches wir haben. Aber falls wir in Zukunft noch ein „Jetzt“ erleben wollen, müssen wir uns den Problemen heute, und zwar jetzt, auch stellen. Selbst wenn es keine Chancen mehr gibt, wir müssen weiterkämpfen.
Du hast in einem Interview zum Thema Kinderlieder gesagt: „Wo man politische Songs macht, versuche ich, diplomatisch ranzugehen.“ Was meinst Du damit und wie könnte ein Pohlmann-Song zum Überfall auf die Ukraine aussehen?
Ich habe auf meiner letzten Platte einige Themen angeschnitten, die mit verschiedenen Problemen der Zukunft und Gegenwart zu tun haben. Ein Song handelt zum Beispiel von einem Boten von Amazon, der in seiner Arbeitszeit auf der Autobahn zu Weihnachten am Steuer einschläft. Ein anderer Song handelt von der Besonnenheit, die wir in Zeiten von Desinformation an den Tag bringen müssen. Ich zitiere da einen Native-Häuptling, der sagt: „Das Kriegsbeil ist schneller zur Hand, als man es wieder eingraben kann.“ Ich wusste nicht, wie nah diese Worte nun wieder an unserer Lebenswirklichkeit sind. Ein weiteres Lied handelt von einem Taxifahrer, den ich wirklich getroffen hatte und der als Flüchtling nach Deutschland kam. Als ich ihm sagte, dass ich nach einem Jahr in Kabul wohl keinen Taxischein hätte, weil ich nicht wüsste, wie man alles aussprechen würde, meinte er: „Kein Problem, unsere Straßen haben keine Namen mehr“. Als er wegfuhr, kamen mir die Tränen.
Ich habe das Lied explizit nie in den sozialen Medien beworben, weil ich das als pietätlos empfinde. Zwei der wichtigsten Probleme mit den sozialen Medien sind ja, dass zum einen das Ego so laut schreit und man zum anderen zwischen ernstgemeinter Aufklärung und Selbstinszenierung manchmal nicht unterscheiden kann. Selbst bei sich selbst nicht. Ich würde mich schwer damit tun, jetzt irgendeinen musikalischen Beitrag zu leisten, der meine Popularität fördert. Und gleichzeitig halte ich es für wichtig. Ich habe mindestens fünf Songs dazu auf meinem Desktop. Ich fand dazu mal vor drei Jahren einen Plastiksoldaten im Sand in Neustadt/Holst. Dieser hatte keine Waffe, aber ein Fernglas in einer Hand. Über ihn wollte ich ein Lied schreiben. Über den Soldaten, der den Weg nach Hause sucht, mit den Erkenntnissen über den Krieg. Wir müssen sein wie dieser Soldat. Wir ziehen uns zurück, bevor wir in den Krieg ziehen. Aber das jetzt zu singen. Ich weiß nicht … Ich tue mich damit schwer.
Stichpunkt „Aktiv werden“: Auf Deiner Facebook-Seite hast Du über Deine Teilnahme an einer FFF-Demo gesprochen – im Regen und mit viel zu wenigen Leuten. Selbst bei Sonnenschein sind oft kaum Menschen auf FFF-Demos. Woran liegt das? Ist das nur die „Verantwortungsdiffusion“ oder sind wir hier einfach satt & stumpf?
Selbst wenn mal wenig Menschen auf den Demos sind: Ich bin mir sicher, dass die Bereitschaft der Menschen etwas zu verändern schon lange sehr hoch ist. Ich bin dazu absolut bereit, auch wenn ich selbst erst dreimal dabei war – Zweimal bei den ganz großen Demos und einmal bei der kleinen. Ich wusste vorher nicht, dass dort Luisa Neubauer sprach. Ich war beeindruckt, dass sie bei ihrem vollen Terminkalender so tapfer im Regen und vor nur 50 Leuten die Stellung gehalten hat – übrigens mit dem gleichen Feuer in ihrer Rede, als würde sie vor 500.000 Menschen stehen. So viel zu Authentizität!
Bei den Themen Klimaschutz und Vermüllung der Welt glaube ich übrigens nicht daran, dass der Konsument dem Markt zeigt, wo er lang muss. Der Markt ist tückisch und sucht immer nach der höchsten Marge, nicht nach dem Produkt mit der höchsten Moral. Es ist sicher, dass wir als Menschen, als Konsumenten, extreme Veränderungen in unserem Verhalten vornehmen müssen.
Um es mal erträglich zu machen: Nur einmal die Woche Fleisch, nur einmal die Woche Fisch, Verzicht auf Plastik, wo es nur geht, weniger Müll im Internet bestellen (den man dann eh wieder zurückschickt), nur einmal im Jahr in den Urlaub fliegen usw. Die Politik muss es unterfüttern mit Gesetzen, die wirklich etwas verändern. Besonders für den größeren Teil der Menschen, die bereit wären, derartige Gesetze zu tragen, aber von sich aus nicht umsetzen würden. Wenn die Politik nichts macht, machen die Menschen leider auch nichts.
Ich glaube, dass Corona gezeigt hat, dass wir uns alle einen Planeten teilen. Und ich glaube auch, dass die Menschheit für sich verstanden hat, dass sie aufstehen muss und demonstrieren muss. Das macht vor allem die Jugend, denn die Jugend hat die Zukunft vor sich. Aber ich glaube generell, dass die Selbstverständlichkeit unserer Existenz so infrage gestellt wurde, dass Tür und Tor offen sind für mehr Bewusstsein. Man muss dem Pessimismus entgegenwirken und selber als Mensch die Würde haben, alles zu tun, das zu erhalten. Ich werde dem ja auch nicht gerecht und bin oftmals gegen mich selber unfair oder teile auch aus. Ich bin ja selbst kein Engel. Deshalb habe ich auch den Song Glashaus geschrieben: „Ich habe einen Stein und der fliegt mit Benzin und ich lasse mich von ihm zum Schweigen bringen“. Ich will ja auch in den Urlaub fliegen. Aber dann will der nächste dreimal in den Urlaub fliegen und dann will ich den dafür kritisieren, aber dann sagt der wiederum: „Du fährst aber 20.000 km durch Deutschland mit dem Tourbus.“ Ja, das stimmt dann ja auch, auch wenn ich das CO₂-kompensiere. Aber das ist dann ja auch nur Ablasshandel. Blablabla. Ich kann auch nicht mit Zug auf Tour. Dann können weniger Musiker mit und die Show und der Sound werden schlechter – das ist dann wieder die Diskussion. Doch ohne diskutieren und ohne sich hinzusetzen und vernünftige Pläne zu machen, geht es nicht.
Du bleibst also trotz aller negativen Aussichten positiv gestimmt und appellierst dazu, dass wir weiter für den Frieden kämpfen sollten?
Um Frieden kämpfen ist ‚fucking for virginity‘. Aber ja, klar, das müssen wir machen, auf jeden Fall!
Zum Schluss bitte ich Pohlmann noch um einen abschließenden Song. Er wählt den oben zitierten Song „Glashaus“. Doch als ich ihm sage, dass ich den Track „Geplatzter Knoten“ auch sehr liebe und wirklich oft höre, sagt er: „Dann lass uns den doch nehmen. Ich höre den innerlich auch oft, wenn ich mich immer wieder aufbauen muss in dunklen Zeiten, wo man seine Power und Kräfte verliert, bei denen man dachte, dass man sich immer auf sie verlassen könnte. Ich habe den Song ganze zwei Jahre vor Corona geschrieben und ein lustiger Zufall ist, dass ich in dem Lied singe „… nimm Abstand und gesunde jetzt und in der Stunde deines Lebens und sag ja...“.
Also sage ich jetzt JA, schließe mit beiden Songs ab und bedanke mich von Herzen bei Pohlmann für diese Klare Kante!
Mehr Infos über Pohlmann:
Offizielle Künstler-Website: pohlmann.de
Offizieller YouTube-Kanal: YouTube/Pohlmannmusic
Pohlmann Live: 03. Juni / Schanzenzelt