Rezension: Somatic Healing von Julia Wohlfarth

Das Buchcover von "Somatic Healing" zeigt die Autorin Julia Wohlfahrt in weißer Kleidung auf dem Boden in Bewegung

Buzzword Somatic Healing: in den letzten Monaten kam das Thema der somatischen Heilung und des Somatic-Yogas wie aus dem Nichts aus dem Boden geschossen.

Der Hintergrund? Somatische Arbeit bedeutet in etwa so viel wie „körperorientierte Heilung“. Somatisch bedeutet „den Körper betreffend“ und grenzt sich somit zur Psychosomatik ab, diese beschreibt den Geist und die Psyche. Soma entstammt dazu dem Sanskrit, weshalb sich die Nähe zu Yoga erklärt.

Eine Buchseite aus Julai Wohlfarths "Somatic Healing" zeigt die Übung Selbstumarmung

Julia Wohlfarth, Physiotherapeutin und Somatic-Healing-Lehrerin erklärt in ihrem Buch das Zusammenspiel von Stressoren auf den Körper und Geist. Primär spricht sie von chronischen Schmerzen. Denn viele Menschen erkennen bis heute den Zusammenhang zwischen Psyche, Stress und chronischen Schmerzen nicht. Und deshalb bleibt ihnen leider auch verborgen, wie sie sich Erleichterung verschaffen können. Mit der verbesserten Körperwahrnehmung durch somatische Übungen, im Alltag integriert, gelingt es vielen Patient*innen, Muskeln zu lockern, Verspannungen zu lösen und den Kopf mit dem Gedankenkreisen zu beruhigen.

Julia Wohlfarth während einer somatsichen Übung wir hier in ihrem Buch Somatic Healing gezeigt

Know – Feel – Move – Relax – and Free your Body

Wohlfarth unterteilt ihr Buch in sieben Kapitel. Im ersten Teil geht es um den deep dive zum Thema „Stress“. Also, wie entsteht er auf körperlicher Ebene, wie flachen Stresssymptome im System ab und was passiert, wenn das Abflachen ausbleibt und Stress körperlich chronisch stecken bleibt. Warum das Wahrnehmen von Körperempfinden so wichtig ist, da geht sie im zweiten Kapitel „Feel your Body ein“. Bevor es dann im dritten Teil losgeht mit „Move your Body“.
Was ich bis hierhin gut finde, sind die verständlichen Worte, die sie gefunden hat, besonders Anfänger*innen im Bereich Stress-Körper-Empfindung komplexe Themen darzustellen. Auch geht sie ein auf Achtsamkeit, auf eventuelle belastende Situationen in der Kindheit. Mir ein bisschen zu leicht gestreift wurde das Thema der „echten“ Trauma. Also die der Missbrauchserfahrungen, starken emotionalen Vernachlässigung, Gewalterfahrung, unmittelbare Bedrohung durch den Tod. Es geht in dem Buch und den Übungen also vornehmlich um Menschen, die durchaus belastende Situationen erlebt haben und vielleicht sogar bereits in einer Therapie sind. Für Menschen mit schweren, komplexen Traumastörungen, wie mich, sind einige der Übungen nicht geeignet.

Somatische Übungen – Blockaden lösen und beruhigen

Ich finde es toll, dass Julia auf den Ursprung der gezeigten Übungen verweist. Somatische Übungen fanden ihren Weg durch Yoga, Qigong oder die bekannte Feldenkrais-Methode, über Jahrhunderte wurden Übungen weiterentwickelt und daraus entstanden dann Übungen, sie Julia sie uns zeigt. Es geht hier vor allem um die Wahrnehmung, es ist keine Sportpraxis, keine Krankengymnastik. Daher finde ich so ein Buch für zu Hause auch besonders wertvoll. Gemeinsam konzentriert man sich oft nicht gut auf sich, sondern ist mit der Aufmerksamkeit im Außen.

Wertvoll finde ich auch die Erklärung, welche der somatischen Übungen für welche psychische Anspannung besonders hilfreich ist, und warum. So wirken die „Sufikreise“, die mir aus dem Yoga vertraut sind, gegen das Gedankenkreisen. Die Selbstumarmung schützt vor Dünnhäutigkeit.

Aber eine wichtige Anmerkung für die komplexen Traumakinder unter uns: Julia schlägt bei starker Anspannung und Angst das Zittern vor. Ja, tatsächlich habe ich oft schon gelesen, man solle durch das gezielte herbeigeführte von Zittern Blockaden lösen. Meine Traumatherapeutin hat mich allerdings dringlich davor gewarnt. Menschen, die schwere Traumata erlebt haben wie ich, sollten niemals in Übungen einfach so die Kontrolle abgeben. Und das Zittern (TRE für Tension & Trauma Releasing Exercises) ist eine dieser Übungen, bei denen das Ziel ist, weiterzuzittern, ohne dass wir das bewusst ausführen. Gerade bei von Missbrauch betroffenen Menschen können so Flashbacks ausgelöst werden. Also, lieber erstmal Finger weg. Wer neugierig darauf ist, bespricht sich therapeutisch. Julia weist tatsächlich auch daraufhin, aber nicht in aller Deutlichkeit. Fan bin ich allerdings von der von ihr ebenfalls vorgeschlagenen Methode der Progressiven Muskelentspannung.

Check-in: Wie geht meinem Nervensystem

Top finde ich die von Julia kreierte „Ampel“, die sie für die Übungen vorgesehen hat. Die one-fits-all Lösung kann es einfach nicht geben und so können wir selbst fein abstimmen, wie es uns gerade geht und welche Übungen uns gerade zu viel/anstrengend wären. Ein kleiner Test verrät uns den Zustand unseres ganz individuellen Nervensystems. Ich bin die Kombination rot und blaues Herz, ❤️💙. Meine Antworten haben ergeben, mein Zustand ist beeinträchtigt, kraftlos und erschöpft. Ich habe fast täglich Panikzustände – dabei bin ich aber chronisch erschöpft. Die achtsame Körperarbeit des Somatic Healing kann mir helfen, die Selbstregulation des aus den Fugen geratenen Nervensystems zu unterstützen.

Die Ampel führt mich durch die Übungen, die die Farbe der Herzen zeigt mir, was für mich geeignet ist. Das von mir gerne praktizierte somatische Schütteln, das ist eigentlich nicht geeignet für erschöpfte Menschen. In extremer Panik hilft mir das Schütteln eigentlich auch nicht, die Panik zu beenden. Aber ich merke, dass es eben sein muss, um diese vielen ätzenden (wörtlich ätzend, denn sie übersäuern mich) Stresshormone auszuschütteln. Achtsames Barfußlaufen ist wunderschön, aber eben nicht, wenn meine Panik kickt. Auch die Umarmung möchte dann nicht sein, ich will Pogo. Bin ich danach noch erschöpfter, umso besser. Immerhin kann ich dann schlafen.

Aber wie gesagt, mein Nervensystem ist auch in einer Dysfunktion seit Kindheit an. Für „normal“ belastete Menschen sind diese Übungen ideal, sie können zu ganz neuen Körpererlebnissen führen. Im späteren Kapitel „Free your Body“ zeigt uns Julia die typischen somatischen Beschwerden, die wir durch Belastungen erfahren. Mit Verspannungen, Blockaden und Schmerzen in Kiefer, Nacken und Rücken sind die Top-Klassiker dabei. Und sie zeigt uns hilfreiche Übungen, die wir in unseren täglichen Bewegungsplan mitaufnehmen können, um diese Bereiche zu lockern. Und die machen richtig Lust, sie auszuprobieren! Ich wundere mich immer wieder, wie verspannt mein Kiefer ist.

Relax your Body – Mit Atemtechnik und Vagusmassage

Mein Lieblings-Kapitel beginnt mit ein paar schönen Atemübungen und einer angenehmen Vagusmassage. Selbstmassagen haben eine sehr positive Wirkung auf mich, wann immer ich es schaffe, massiere ich abends das Gesicht, Nacken und Schultern.

Tipps für den gesunden Alltag

“Indem du diese kleinen, aber wirkungsvollen Tipps im Alltag verwirklichst, kannst du eine gesündere und ausgeglichenere Bewegungsroutine etablieren, die dein Nervensystem und deinen Körper unterstützt.” Julia Wohlfarth – Somatic Healing

Sehr hilfreich finde ich den Teil des ganzheitlich gesunden Alltags. Vom richtigen Sport, zur ausgewogenen Ernährung, der Wichtigkeit des guten Schlafs, all meine Lieblings-Themen, die ich hier auf dem Blog auch immer wieder vorstelle. Richtig schön, und mir bis hierhin unbekannt, ist der Teil über Glimmer. Glimmer ist das Gegenteil von Trigger. Trigger sind negativ behaftet, Glimmer aber beschreiben die positiven Momente, die uns triggern. Meine Suche nach vergessenen Kinderbüchern ist so ein positiver Trigger. Finde ich im Netz ein lang vermisstes Buch, ist das ein umwerfendes Gefühl.


Fazit zu Somatic Healing:

Eine kleine Kritik vorneweg. Allheilversprechungen sind nicht fair. Statt „Wie du dich von Schmerzen, Unruhe und Erschöpfung befreist“, finde ich „Hilfe bei …“deutlich schöner. So toll ich das Buch finde, jemand wie ich kann sich beim besten Willen nicht „heilen“, egal, wie gut die Übungen und Praxisbeispiele sind. Das stresst Betroffene zusätzlich, wenn sie dieser Erwartungshaltung nicht gerecht werden können. Wenn sie trotz der Übungen nicht die propagierte „nie dagewesene Energie“ verspüren. Das darf anders sein und ich freue mich zukünftig über achtsame Werbung. Das ist allerdings auch schon mein einziger Kritikpunkt.

Denn davon ab ist dieses Buch ein ganzheitlicher und dennoch leicht verständlicher Einstieg in ein gesünderes Leben. Es hilft auf körperlicher, wie geistiger Ebene zu erspüren, was wir brauchen. Eine Fähigkeit, die vielen Menschen komplett abhandengekommen ist. Und mir auch, das hat mir die Arbeit mit dem Buch wiedermal gezeigt und dafür bin ich Julia dankbar. Ich habe direkt ihre kleine somatische Abendroutine etabliert, die man im kleinen Extrateil als Videobonus bekommen hat. Und last but not least: Das Buch ist richtig schön illustriert von Patricia Krause, die sogar eine achtsame Zeichen-Technik entworfen hat.

 
Die Somatic-Healing-Lehrerin und Autorin Julia Wohlfarth schaut in die Kamera

Credit: Farina Hanemann

Über die Autorin:

Julia Wohlfarth ist bekannt als Physiotherapeutin, Expertin für Somatic Healing und von ihrem Instagram-Kanal @julia.physioglueck. Sie lebt mit ihrer Familie in München. „Somatic Healing“ ist ihr erstes Buch.

Das Buch:

Somatic Healing – Julia Wohlfarth
Verlag: GU
ISBN: 978-3-8338-9586-9

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